Sonntag, 13. Mai 2012

Paracelsus - Der unbequeme Heiler


Mit Sicherheit kennt jeder, wirklich jeder mindestens eine „Paracelsus Apotheke“ in seinem Wohnort. Nur wenige wissen, dass sich hinter diesem Namen der mittelalterliche Medicus Theophrastus Paracelsus (*1493/94) verbirgt, der seinerzeit die Welt der Medizin auf den Kopf stellen wollte.
Oft wird er mit seiner ganzheitlichen Auffassung von der Natur des Menschen als inoffizieller Schutzpatron der Alternativmedizin gesehen. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass seine Ansichten im Kontext der überholten mittelalterlichen Humoralpathologie zwar der einzig richtige Ausweg aus den fehlgeleiteten Schlussfolgerungen seiner Zeit waren, sie jedoch nicht als Grundlage für ein alternativ- oder komplementärmedizinisches Konstrukt der heutigen Zeit herhalten können. 

Der gängigen Ansicht des Mittelalters nach war die Gesundheit des Menschen vom Gleichgewicht der vier Säfte (gelber und schwarzer Galle, Blut und Schleim) abhängig. 
Auffallend ist, dass sich Paracelsus bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts kritisch über die Viersäftelehre bzw. Humoralpathologie äußerte, die von der Antike (ca. 440 v. Chr.) bis ins 19. Jahrhundert die Grundlage der westlichen Vorstellung von Medizin war. 
Laut ihr entsprach jeder Saft des Körpers einem der vier Elemente aus der Natur also Luft, Feuer, Erde und Wasser. Jedem der Säfte wurden überdies auch bestimmte charakterliche Eigenschaften, Lebensphasen sowie ein bestimmter Apostel zugeordnet. Auch die Astrologie vollzog zahllose Brückenschläge zu diesem Weltbild. Des Weiteren gab es die Vorstellung, dass sich entweder über speziell eingerichtete Diäten oder Aderlässe das Gleichgewicht der Säfte bewahren oder wiederherstellen ließ. Paracelsus widersprach dieser Auffassung jedoch grundlegend.

P. hinterließ nach Luther die zweitgrößte frühneuzeitliche deutsche Sammlung an Fachliteratur. Allerdings wurden seine Schriften erst ab 1560 editiert. Paracelsus starb bereits 1541 in Salzburg. Die einzige größere Abhandlung, die er noch zu Lebzeiten hinterlassen hatte, war die „Grosse Wundartzney“ die er 1536 in Augsburg veröffentlichte.
Die Streuung seines Lebenswerkes lässt sich nachvollziehen, wenn man um Paracelsus auffassung über das Verhältnis von Buchwissen und persönlichem Erfahrungsschatz weiß. In einem Brief von 1531 erklärt er: „Deswegen folgt aus dem, da[ß] der medicus nicht alles, das er können und wissen soll, auf den Hohen Schulen lernt und erfährt, sondern er mu[ß] auch auch zuzeiten zu alten Weibern, Zigeunern, Schwarzkünstlern, Landfahrern, alten Bauersleuten und dergleichen mehr unachtsamen Leuten in die Schul gehen und von ihnen lernen, denn diese haben mehr wissen von solche Dingen (gemeint sind angehexte Krankheiten) denn alle Hohen Schulen.“ 
Wie man sieht, war für Paracelsus also jene wissenschaftliche Größe, die wir heute großzügig mit dem Begriff der Empirie, beschreiben könnten, weitaus wichtiger als das tradierte Wissen aus Schulbüchern. Der persönliche Erfahrungsschatz und die Eigenverantwortung waren für P. unersetzbar und standen dem damaligen Weltbild einer kirchenhörigen, autoritätstreuen Medizin entgegen. 

Diese Ansicht kann zwar auf das heutige Verhältnis von Schul- und Alternativmedizin übertragen werden, jedoch darf man nicht vergessen, dass der zentrale Aspekt der Empirie heute zentraler Bestandteil jeder Wissenschaftlichen Arbeit ist. Ein erneutes Anwenden der paracelsischen Idee auf den heutigen Wissenschaftsbetrieb würde also einen Rückschritt bedeuten, auch wenn es zweifelsohne wichtig ist, den skeptischen Grundgedanken seiner Arbeit zu pflegen und zu bewahren. 

Notes:

Zitat aus: De occulta philosohia, in: Paracelsus Werke hg. v. Will-Erich Peuckert, Darmstadt 1976, BD. 5, S. 169 ff. 

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